Nach einem Texas Chainsaw Massacre: Auftritt der Neurologen III

Wir halten also fest: Ich liege seit mehreren Stunden auf einem Flur im Notfallbereich. Es ist mittlerweile kurz nach 17:00 Uhr und ich habe seit dem Vortag weder etwas gegessen noch etwas getrunken: Nachts für eine Minikopfwunde erstaunlich viel Blut verloren und vor ca. 4-5 Stunden wurde mir Blut abgenommen. Seit einer Stunde ist mir außerdem auch ziemlich kalt, denn ich habe keine Decke…
Aber so gegen 17:30h kommt dann endlich eine äußerst junge Neurologin(Studentin oder junge Assistenzärztin) und versucht – da kein Zimmer frei ist – zum zweiten Mal am Tag – mir ein paar Fragen zu stellen…
N1: „Hatten Sie schon einmal ein Schädel-Hirn-Trauma 1 Grades?“ (Einfacher gefragt: Hatten sie schon einmal eine Gehirnerschütterung?)
Ich: „Als Kind im Alter von 10 Jahren bin ich mal gegen einen Baum gefahren und konnte 10 min nichts sehen. war aber letztlich nix Dramatisches…Eine leichte Gehirnerschütterung eben“
N1: „Und warum sind sie gegen einen Baum gefahren?“
Ich: „Weil der Baum im Weg stand?“
N1: „Wie meinen Sie das?“
Ich: „Das war ein Scherz. Kontrolle über das Fahrrad verloren. Denke ich…“
N1: „Ahh, da wird ja gerade ein Zimmer frei. Kommen Sie mal mit mir ins Behandlungszimmer.“
Ich stehe also sehr abrupt auf..: Ich gehe ein paar Schritte und merke, wie mich etwas vom Kopf an runter zieht: alles um mich herum dreht sich und ich kippe direkt gegen einen Arzt, der günstig-erweise mich auffangen kann und werde gleichzeitig von einer Krankenschwester an den Füßen gepackt und in ein Arztzimmer getragen…Gekonnt wird meine neue Komfortliege so gekippt, dass ich mich – mal wieder – wie eine Fledermaus fühle…Nach wenigen Sekunden in der Kopf nach unten Position ist mein Kreislauf und ich sich wieder einig und mein Herz pocht angemessen und gleichmäßig. Die Assistenzärztin ist wesentlich panischer und blasser als ich…
Die Krankenschwester bemerkt, dass die Episode vorbei sei und ich wieder Farbe im Gesicht hätte…Juhu Fall gelöst… könnte man sagen, aber zusammenbrechende Patienten kann man natürlich nicht einfach entlassen…Auch wenn diese sehr gute Gründe dafür angeben können…

Wie man ein „Texas Chain Saw Massacre“ im eigenen Badezimmer veranstaltet

Man nehme dazu einen labilen Körper, der zum UMKIPPEN neigt und haue sich den Hinterkopf an der Toilette an…Nach kurzer Ohnmacht lege man sich einfach neben die Toilette, denn das Drehen im eigenen Kopf wird langsam leicht unerträglich und wozu sollte man eigentlich aufstehen…??? Dann -nach der wunderbaren ALLES DREHT SICH Phase – bemerkt man: Es ist hier zu naß und feucht und irgendwie will ich doch wieder zurück in mein Bett…Und warum ist alles eigentlich so rot?
Hat Norman Bates Zutritt zu meinem Badezimmer gehabt??? Sollte ich schreiend weglaufen…???
Ich entschied mich das einfach zu ignorieren und gelangte gegen 3:30 Uhr morgens wieder in mein Bett…(Seitdem haben sowohl meine Flickenteppiche leicht ein-gebräunte Farbtupfer, als auch mein Kopfkissen eine Braunfärbung…)

Um 7 Uhr bin ich dann aufgewacht und betrachtete andächtig mein Blut-durchtränktes Kopfkissen…Hatte ich meine Periode…??? An der falschen Stelle??? Nicht besonders logisch…Was war eigentlich überhaupt passiert? Was blutet da eigentlich?
Waren da vielleicht irgendwelche Halloween Scherzartikel im Spiel und hatte ich evtl. falsches Vampirblut getrunken??? Wollte ich einen authentischen Horrorfilm nachstellen: wie z.B. ‚Martyrers’…?

Ich war ratlos… Ich griff mir suchend an den Hinterkopf, der merkwürdig pochte und bemerkte, dass ich in irgendetwas OFFENES hinein fassen konnte und meine Hände äußerst klebrig waren…Das bewegte mich zunächst einen unpassenden Lachkrampf zu bekommen und mich dann über meine Schuhe zu übergeben…(Die neben dem Bett standen und nicht meine Füße kleideten)

Großartig: Es war nun fast 8:00 Uhr morgens und ich realisierte mit Schrecken: ES IST MITTWOCH…Mein Hausarzt ist nicht da und ich muss zu seiner äußerst widerborstigen Kollegin…Ob ich mir das antun sollte? Darüber musste ich erst-mal nachdenken und stellte mich unter die Dusche…Wobei ich versuchte die offene Kopfplatzwunde nicht im Wasser zu versenken…Nur die total verklebten Strähnen, die musste ich irgendwie beseitigen und mit Duschgel bearbeiten…Dadurch färbte sich das Wasser leicht rot, was mich sehr irritierte…Vielleicht hätte ich nachts lieber den Notarzt holen sollen? Aber wegen so einer simplen Kopfplatzwunde…??? Mir war extrem schwindelig und ich setzte mich erst mal auf den Boden der Dusche…(Norman Bates drang trotz meiner Verwundbarkeit nach wie vor nicht in Erscheinung…) Ich war beruhigt…

Alles war zwar rot, aber irgendwie doch GUT…Ich krabbelte aus meiner Dusche und betrachtete meine Toilette und die Umgebung…Sah aus als ob ich nachts ein Schwein in meiner Wohnung geschlachtet hätte…Aber ich erinnerte mich: Ich war ja Vegetarier und ich zähle nachts nur Schweine, wenn ich nicht schlafen kann…Lieber noch Luchse…Selten Schafe, die werden von Luchsen zu oft attackiert und das tut mir zu Leid…

8:10 Uhr…Ich sollte mal langsam in der Praxis anrufen…Aber was sage ich? Muss ich was sagen??? Ich beschränkte mich aufs Wesentliche…:
„Praxis Dr X und Y—Z Guten Tag“
„Hallo hier ist U…und ich müsste heute mal..“
„Der Doktor ist heute nicht da nur die Frau…Wie immer MITTWOCHS“
„Mir heute ausnahmsweise egal…Ich gehe auch zu Frau X…“
„Dann kommen sie einfach rein…“
Die Praxis scheint sich MITTWOCHS magisch zu leeren…Wobei ich dort angekommen mich einfach wortlos in das äußerst leere Wartezimmer setzte…Da Frau X gerne redet und jedem zu einem Psychologen schickt, kann sie sich auch zwei Patienten lange widmen. Also saß ich da und dachte an geschlachtete Schweine und das ich ungern – wie die Hauptprotagonisten – in „Martyrers“ angebunden an Ketten, verprügelt, kahl rasiert und anschließend gehäutet werden möchte. Ich bin eben kein Märtyrer und versuche auch nicht mit bewaffnetem Kampf dem Kapitalismus ein Ende zu setzen. Der verlebt sich vermutlich in den nächsten 1000 Jahren – WIE das römische Reich – von selbst…Meine Zeit ist dagegen sowieso nur wie ein Sandkorn im Wind.
Außerdem bin ich eher pragmatisch und verletzte nur mich und meinen Körper…Wenn auch nicht immer vorsätzlich, dann aber doch nachhaltig…

Nach diesen philosophischen Selbstgesprächen widmete ich mich dann den tollen Broschüren: Die Krebsstiftung von unserem gigantischen Ultrakapitalisten, dem das ganze Bahnhofsviertel gehört und dessen Frau leider an Krebs erkrankte stieß mir zunächst ins Auge… Soziale Psychiatrie…Was ist an der Psychiatrie schon sozial…(?)…Natürlich besser als Gefängnis…In Amerika gibt es fast keine staatlichen-psychiatrischen Einrichtungen mehr, sodass psychisch kranken Obdachlose oft im Sicherheitstrakt eines Gefängnisses landen…Wir sind auf dem besten Weg dahin, denn es soll auch ein Budget in psychiatrischen Einrichtungen eingeführt werden…Wie schon die Liegezeit im Krankenhaus: TOLL!!! Noch ein Modellversuch…Ich liebe das Wort Modellversuch…

Aber wo war ich eigentlich? Eigentlich wartete ich in einem Wartezimmer auf „Godot“…Vielleicht aber auch auf etwas Anderes…Mein Durchstöbern der Broschüren wurde unterbrochen durch den wunderbaren Zuruf:

„Frau U…Sie können vor die 3…“
„Yeah, weiteres WARTEN vor dem Arztzimmer…Warum aber eigentlich 3 und nicht 1…??? War 1 das Labor? Wer weiß…Egal…Ich saß also vor der 3 und durfte dann ziemlich schnell in die 5…Sie hat nämlich die 5…Ich meine Zimmer 5…“

Frau U betrachtete mich zunächst ungläubig…Denn seit einem Jahr vermeide ich jede Begegnung mit ihr, da ich immer sofort total super therapeutische Ratschläge bekommen, die mir auf die Nerven gehen…Wie: Sie brauchen Gespräche und ein Psychologen und, und, und…Am besten sie gehen stationär nach Timbuktu…Aber was bringt mir Timbuktu??? Nervenschäden sind Nervenschäden und bleiben Nervenschäden…Brennen, Verbrennen, Fegefeuer ist nun mal mein Alltag…Gut ich könnte meine Bulimie evtl. in den Griff bekommen, aber das ist unwahrscheinlich…Denn was bleibt mir momentan…???

„Ich brachte es also auf den Punkt, als ich zu ihr sagte: Ich brauche eine Bescheinigung für den Amtsarzt und ich habe eine Kopfplatzwunde…So 4cm am Hinterkopf…“
Sieh sah mich an als hätte ich nun komplett meinen Verstand verloren…Das hatte ich an diesem Morgen wohl auch und fragte: „Wo genau?“
Ich zeigte ihr die Stelle und sie sah sich die kleine klaffende Wunde an…
„Wie lange ist das jetzt ungefähr her…?“
„So 6-7 Stunden..“
„Dann kann ich das jetzt nicht mehr kleben. Sie müssen zum Chirurgen, der kann die Ränder anschneiden und das dann nähen…Ich rufe da gleich mal für sie an, dass sie nicht solange warten müssen.“
Eigentlich ja nett, aber bei dem Wort anschneiden, wurde mir irgendwie übel…
„Wissen sie wo das ist?“
Ich erwachte aus meiner Trance…“Wo was ist?“
„Der Chirurg…“
„Hee??? Nee, wo jetzt nochmal?“
„Wissen sie wo der Supermarkt 7 am Bahnhof ist…? Die Brücke…?“
„Ach, da wo die Uni…Ja, weiß ich…“
Die nette Sprechstundengehilfin fragte noch: „Kann sie dahin laufen…So fit wirkt sie doch jetzt nicht gerade…?“
(Hey, ich bin fit wie ein Turnschuh…Aber das Wort „Anschneiden“ wollte mir nicht mehr aus dem Kopf…)
Ich lief dann mal so einen weiteren Kilometer oder auch 2 quer durch die Stadt und umkreiste den Supermarkt…Bis ich heraus fand das Augenarzt und Chirurg in einer Praxis agierten dauerte es etwas…Passt ja auch irgendwie nicht zusammen und das auch noch im dritten Stock…Ich kämpfte mich die Treppen hoch und merkte, dass mein Körper langsam aber sicher keine Lust mehr hatte zu laufen und mein Kopf suchte nach einer Ablage oder einem neuen Kissen…
Ich schaffte es gerade noch meine gesetzliche Versicherungskarte über den Tresen zu reichen, bevor mir richtig anfing schlecht zu werden: im Wartezimmer waren leider keine freien Plätze mehr und ich setzte mich dann auf irgendeinen Kinderstuhl in den Gang und kollabierte…Die besorgte Arzthelferin fragte sofort nach meinem Befinden…
„Mir geht es hervorragend…Ich habe nur eine Kopfplatzwunde“
„Wollen Sie sich hinlegen?“
„Nein, Danke…“
Nach weiteren 5 Minuten in denen ich ins Jenseits abgedriftet war…, zog eine energische Arzthelferin an mir und meinen Armen…
„Mir geht es nach wie vor sehr gut…Bin nur etwas müde“
„Sie legen sich jetzt hin..“
„Wohin denn???“ (Die ganze Praxis war VOLL…) Mühsam zerrte ich mich in eine stehende Position, was Dank mehrfacher Bandscheibenoperationen einfach nicht sehr schnell geht. Außerdem hatte sich mein Kreislauf irgendwie von mir verabschiedet.
Zunächst einmal wurde ich im „Röntgenraum“ untergebracht…Wirklich toll da zu liegen…Ich fing an Schweine zu zählen und dachte an Küken, die geschreddert werden und nahm mir vor Veganer zu werden…Wie passen Schweine und Küken eigentlich zusammen? Chicken Mc Nuggets + Schweineburger…Meine Gedanken waren ungeordnet, zerfetzt und zusammenhanglos…

Eine Arzthelferin erweckte mich mal wieder aus dem Jenseits..Im Schlepptau hatte sie einen Rollstuhl…Ich war entsetzt…:
„Ich kann laufen…“
„Setzen Sie sich jetzt da rein…“
Ich versuchte also von diesem blöden Röntgengerät…-für mich umfunktioniert – als Liege runter zu kommen…Für meinen Geschmack und Bandscheiben eher etwas zu hoch…, sodass ich halb herunter fiel und mich irgendwie auffing…
Die Arzthelferin sah mich fragend an und deutete auf den Rollstuhl…Ich ergab mich diesem Schicksal und wurde so ca. 30m weit in den nächsten Raum geschoben…Diesmal hatte ich eine gemütliche Liege, was mir -den Schweinen, Küken, Schafen und Luchsen – wesentlich besser gefiel…Ich driftete also wieder leicht ins Traumland ab, bis mich eine energische Stimme wieder erweckte…
„Sind sie Tetanus geimpft?“
„Ehh, was…Wie ???“ (War etwa doch Norman Bates hinter mir her…? Aber der attackiert doch nur Frauen in der Dusche…!)
„Haben sie einen Tetanus-Schutz, Impfausweis??“
„Impfausweis…Ich..??? Nee…Tetanus???“
„Okay, dann geben wir ihnen jetzt zunächst 2 Spritzen…“

„Drehen sie sich mal um…“ (In dem Moment wurde ich schon energisch und unsanft von der Arzthelferin umgedreht. Da ich zu sehr mit meinem Kopf beschäftigt war, entging mir die Impfung gänzlich…)
„Wo ist denn die Wunde?“
„Ich zeigte auf meinen Hinterkopf und sofort wurde wieder an mir gedreht und gezerrt…
„Da gehen jetzt leider ein paar Haare drauf…“ (Ich wollte protestieren, aber bei 4cm…Das sind bei mir wirklich nur ein paar Haare…)
„Das tut jetzt mal ein bißchen weh…“
Okay, das war nicht untertrieben..Ich fühlte mich irgendwie, als würde man mich skalpieren…Zu meiner Freude dauerte es nur ca. 3min…Chirurgen sind erbarmungslos, aber schnell…Das Ergebnis des „Chirurgenverschnittes“ sieht nach 12 Tagen so aus…:
Genähte Kopfplatzwunde

Ich dachte: Jetzt bist du erlöst, aber…aber das sah der Chirurg anders

„Sie gefallen mir nicht…Sie sind deutlich Zeit verzögert…“
„Ich, ehhh Ich bin NICHT Zeit verzögert…Außerdem muss ich zum Amtsarzt.“
„Sie müssen heute zu keinem Amtsarzt. Ich schicke sie ins Uniklinikum…Dann sind sie entschuldigt…
„Ich will nicht ins Uniklinikum…DAS ist normal bei mir…“

To be continued…