Vom Glaubenswahn, Lebkuchenhäuser backen und Hänsel und Gretel Deutungen…

Musik führt zusammen oder auch nicht. Dieses Jahr hatte ich wenig Zeit für meine kleine Schwester, aber an meinem Geburtstag etc. war ich zu-hause und sie  musste (zu ihrem Leidwesen) an meiner kurzfristigen Obsession mit dem  obigen Musikstück teilhaben, was zu dieser etwas unmutigen Mail-Antwort führte:

 

…1 Grund warum ich meine Schwester hasse ist der:Pastime with good Company! Läuft derzeit hoch und runter in meinem Kopf, sodass ich mich derzeit gezwungen sehe mir das schon seit über ner halben Stunde reinzuziehen -,-

Und hier meine Erwiderung:

Ein Grund warum ich meine Schwester LIEBE  – ist, dass sie jetzt auch „Pastime with good Company“ hört….Dann können wir das gemeinsam an Weihnachten der Familie vorsingen…Ist eben ein „mittelalterlicher“ Ohrwurm…Oder aber auch ein gewaltiger Renaissance-Tinnitus…

 

Vielleicht war es aber auch der Kontext meiner drögen Monologe über die Verquickung der menschlichen Seele und der Widersprüchlichkeit des menschlichen Lebens, die das Ganze zu einem solchen Ohrwurm für sie hat werden lassen:
Ich frage mich immer noch: Wie kann  jemand etwas so SCHÖNES erschaffen und gleichzeitig in die Annalen der Geschichte als skrupelloser Herrscher (mit einem Hang zur Hinrichtung zweier seiner 6 geehelichten Frauen eingehen)??? Heinrich VIII ist eine sehr ambivalente Figur: Als junger Mann liebt er die Musik, hat selbst eine schöne Countertenor-Stimme und verhält sich für einen Herrscher eher ungewöhnlich, indem er selbst singt und komponiert.
Die Heirat zu seiner ersten Frau Catherine Aragon sieht er nach Ausbleiben eines männlichen Thronfolgers als Versündigung an Gott und Inzest an (und evtl. auch unbewusst als Betrug an seinem Bruder), der eigentlich der Thronfolger war und Catherine zuvor sehr jung geheiratet  hatte, dann aber verstorben war…Die Ehe galt als nicht vollzogen und Catherine bei ihrer zweiten Ehe immer noch als Jungfrau.

Heinrich VIII litt darunter seine erste Frau aus seiner Überzeugung – nicht ganz unbefleckt geheiratet zu haben und diese Sünde führte in seinen Augen zu dem fehlenden männlichen Thronfolger.
In der populären Geschichtsschreibung wird Heinrich VIII heute vorwiegend als Frauenmörder geächtet, aber gilt auch als Bringer der anglikanischen Version des Protestantismus… (Obwohl er nicht einmal überzeugter Anhänger dieser Reformen war, aber politische Umstände die er nicht ausitzen wollte, brachten ihn in Konflikt mit dem Papst, der die Ehe zu Catherine nicht annulieren wollte, sodass er nicht mit dem Segen des Papstes neu heiraten durfte) Ebenso ironisch ist, dass er auf Drängen seiner letzten Frau (Katherine Parr), die nicht auf dem Schafott endete, seine beiden Töchter aus den vorigen Ehen als rechtmäßige Erbinnen wieder einsetzte und somit eine weibliche (matrimonale) Herrschaftsfolge in Großbritannien sicherte, aber sein Heirats- und Hinrichtungswahn insbesondere daraus resultierte, dass seine Frauen keinen „männlichen Thronfolger“ gebaren …(Sein spät geborener Sohn verstarb im Jugendalter und war nur kurze Zeit auf dem Thron. Die Töchter Heinrich VIII gingen in die Geschichtsbücher als „Bloody Mary“ (Restauration des katholischen Glaubens/ Protestantenhinrichtungen) und Elisabeth I (anglikanischer Protestantismus, Renaissance, Hochkultur (Ben Jonson, Shakespeare), aber auch Hinrichtung Mary (Queen of Scots)/Ende der Tudorherrschaft ) ein…

Angesichts so vieler Hinrichtungswahn aufgrund von Glaubensrichtungen und ihren politischen Implikationen frage ich mich warum wir Weihnachten überhaupt feiern? Was wir da feiern und ob wir uns der christlichen Traditionen mit all ihren Implikationen: Kreuzzügen, Machtmißbrauch des Vatikans, der Herrscher sowohl des Protestantismus/Katholizismus bewusst sind? Das Alte Testament ist ohnehin eine Ansammlung reiner Grausamkeiten, die allenfalls im 5fach übertragenen Sinne als Menschheitsgeschichte und Parabel der Unmenschlichkeit für mich eine Bedeutung haben…

Da ist es doch eher neutral, wenn man sich in der besinnlichen Vorweihnachtszeit eher auf die germanischen Traditionen besinnt und ein Lebkuchenhaus backt, welches in der romantischen Märchentradition der Grimms steht und an das „Knusper, Knupser Knäuschen“ Hexenhaus von Hänsel und Gretel erinnert.
Meine Schwester kam zu mindestens im letzten Jahr auf diese geniale Idee, dass wir gemeinsam unbedingt ein Lebkuchenhaus backen, bauen und basteln sollten…Meine Begeisterung hielt sich in Grenzen, da ich ja eigentlich schon Pudding kochen für eine Überforderung halte. Ich bereite allenfalls Yum-Yum Fertignudeln zu.

Aber nun gut: Es schien ein Herzensanliegen meiner Schwester: Denn im vorletzten Jahr, als meine Schwester noch im Betreuten Wohnen weilte, hatte das Meisterwerk eines angefangenen Lebkuchenhauses leider dem Leben nicht Stand gehalten und war in sich zusammengebrochen. (Dramatisch) und jetzt wollte meine Schwester in ihrer vollen Selbständigkeit beweisen, dass sie in der Lage war ein solches zum Stehen zu bekommen…So als Übergangsritus ins Erwachsenenleben, was sie mit dem vollendeten 18 Lebensjahr erreicht hatte…(Ja, sie ist 13 Jahre jünger als ich uns somit kann man sich nun ausrechnen wie alt ich bin…Oh Gott, ich bin wirklich ALT…)

Verpsychologisierend betrachtet ist also das Backen eines solchen Hauses auch keineswegs neutral, sondern mit der Überwindung der ödipalen Phase in Verbindung zu bringen….Zu mindestens wenn man dem Psychoanalytiker Bettelheim folgt, der mit seinem Buch „Kinder brauchen Märchen“ allen Heranwachsenden der 68er Generation nachhaltig geschadet hat: Denn einerseits Toleranz, Ambivalenz und alle Facetten des Dazwischenseins gelehrt zu bekommen, um dann als Kind wieder in eine schwarz-weiße Welt aus klaren gut/böse Zuordnungen geworfen zu werden -mit Todesstrafen und Gnadenlosigkeit – passt doch irgendwie nicht zusammen. Meine Mutter hat mich mit Grimms Märchen regelrecht gequält: Ich habe als Kind Märchen gehasst und mir aus Protest die Ohren zugehalten. Insbesondere als in einem anderen Märchen die böse Königin in eine Tonne mit Nägeln gesteckt und zu Tode gerollt wurde, hatte ich wochenlang Alpträume… Daher hat meine Schwester von mir nie Märchen vorgelesen bekommen, denn sie sind m.E. gewalttätig und von einem schwachsinnigen gut-böse Schema geprägt, dass man nicht einmal 5 Jährigen Kindern antun muss…Das Kunstmärchen war ja eigentlich auch nie ein Kindermärchen…,und dass die Grimms alten Weibern solche abgelauscht haben ist ein von Ihnen erfundener Mythos…Vorwiegend kamen die Erzählungen von einer hochgebildeten Französin, die keineswegs ihren Kindern solche Schauergeschichten näher brachte…Allerdings ist es bis ins Bilungsbürgertum verbreitet, dass die Mehrzahl der Märchen aus dem Volk selbst kamen. Eigentlich war es aber umgekehrt: erst durch die Publikation der Grimm’schen Märchen und den ganzen Illustrationen und Bebilderungen wurde es zu einem Kinder- und Volksbuch…)

Aber wie war das nochmal mit Hänsel und Gretel und der psychoanalytischen Deutung des Lebkuchenhauses als Mutter…???
Ach, nee der Verbrennung der Hexe als Mutter oder der Verspeisung des Hauses als ödipale Fixierung und eigentliche Verspeisung der Mutter???
Denn die Hexe und das Haus sind eins und ineinander verschmolzen. Bzw. symbolisiert das Haus ihr Elternhaus… Ich wäre dafür, dass das Haus auch die Brust der Mutter symbolisiert und Hänsel und Gretel nicht nur einfach Hunger haben, sondern sich auch noch am Busen der Mutter vergehen..Ich meine des Hauses..Wie auch immer…Also wenn ich das ganz theoretisch mit Bettelheim fasse, dann verkörpert:

„Die Geschichte von Hänsel und Gretel […] die Ängste und Lernaufgaben des kleinen
Kindes, das seine primitiven oralen und daher destruktiven Wünsche überwinden und
sublimieren muss“

Und die Tötung der Hexe ist eigentlich super, denn sie stellt die Befreiung der Beiden von ihren „oralen Fixierungen“ dar und sie haben somit alle ihre destruktiven Wünsche überwunden. Gedankensprung: Wir backten also nicht nur ein Lebkuchenhaus, sondern töteten rein symbolisch auch unsere Mutter und sublimierten nicht länger unsere Triebe…(Was ist aber nun der Schluss daraus: Sollten wir alle unsere Mütter in Backöfen stecken, um unsere ödipale Phase zu überwinden??? Natürlich nur symbolisch!

Aber Nein, sagt die marxistische Kritik: Es war ja gar nicht die Mutter, die im OFEN landete, sondern irgendeine Frau, die uns an unsere Mutter erinnert und wir sind somit nicht von unserer Destruktivität befreit…

In der marxistischen Interpretation kommt dann auch Hänsel und Gretel eher schlecht weg:
Fetscher nennt sie auch eine präfaschistische „Progrom-Story.“ Denn wissen die Kinder eigentlich, dass die Hexe eine Hexe war und wird hier nicht eigentlich eine Außenseiterin der Gesellschaft ermordet? Diese frevelhafte Tat entspringt nämlich dem sozialen Milieu des verarmten Kleinbürgertums, das durch die Entwicklung der kapitalistischen Produktionsverhältnisse nun stark bedroht ist…Wir denken nur an die armen hungernden Weber und vergleichen das mit der Position der Eltern in diesem Märchen. Der Sozialdarwinismus prägt die psychische Struktur der Eltern: wenn sie überleben wollen, müssen ihrer Meinung nach die Kinder sterben…Dies wirkt sich auch auf Gretel aus,
die mit vollendeter Skrupellosigkeit eine wehrlose Frau in den Ofen schiebt. Gretel „wiederholt“ also das an ihren Eltern, was zuvor ihr angetan wurde und enteignet sich von einem als wertlos empfundenen ‚Außenseiter‘… Die individuelle Bereicherung aller Beteiligten deutet in groben Zügen dann voraus, was in verschärfter Form im 20. Jahrhundert wieder-auftauchen wird und die faschistischen Bewegungen in Deutschland namentlich kennzeichnet…

Folgernd verboten die Alliierten nach dem 2 Weltkrieg sogar aus diesem Grunde Hänsel und Gretel. Denn das Märchen war ein Symbol für die Fixierung der Deutschen auf die Verbrennung von vermeintlichen Andersartigen und wurde im Zusammenhang mit den Hexenjagden und Verbrennungen des 16. und 17. Jahrhunderts gesehen. Die Interpretation war, dass in den Öfen von Auschwitz nur zu deutlich das Märchenmotiv wieder kehren würde…
Wobei die Nazis sich sogar temporär mit den Hexen als vermeintliche Schöpferinnen einer germanischen Urreligion identifiziert haben.Nur um wieder einen anderen Außenseiter und Todfeind zu erklären: Heinrich Himmler wollte einerseits die Juden für die Hexenjagden (des Mittlealters) verantwortlich machen und arbeitete gleichzeitig selbst an einer Hexenjagd alles „Ü-bersteigende“: am monströsen Vergasungsmord, dem Holocaust. Juden werden also gleichzeitig zu den Außenseitern „Hexen“ degradiert und als Anstifter des einstigen Hexenmordes gesehen.
Ob aus diesen historischen Erwägungen die RAF-Mitglieder Andreas Baader und Gudrun Ensslin sich für die Code- bzw. Decknamen Hans und Grete entschieden?

Jedenfalls können wir an der populären Kultur heute sehen, dass das Verbot von Hänsel und Gretel durch die Allierten wenig Erfolg hatte…(Die im Süden der USA in den 40/50er Jahre auch noch munter öffentlich Lynchmorde an Afroamerikaner begingen. Somit wohl auch nicht jenseits der Lehrmoral von Hänsel und Gretel standen.)
In Deutschland wurde schon in den 50ern das Märchen mit Liedern etc. zelebriert und hochmodern und noch heute brät man die Hexe im Kindergarten…Ist das nun schlimm????

Sollte man doch eher lehren, dass Gott ein gerechter Gott ist, weil er Abrahams Sohn nicht tötete, als er diesen Gott als Menschenopfer darbot und verbrennen wollte???

Brauchen wir neue Menschenopfer, die sich freiwillig verbrennen lassen? Sklavinnen, die mit ihrem Herrscher sterben, wie bei den alten Ägyptern oder vereinzelt in Wikingerkulturen??

Und darf man heute noch Lebkuchenhäuser backen ohne sich zu schämen?

Müsste man Hänsel und Gretel in ein marxistisches Lehrmärchen umdichten, indem nicht die Hexe stirbt, sondern ehhhm wer eigentlich…??? Die Banker und Manager??? (Sind ja auch reiche, aber arme Schweine ohne eigene Gestaltungsmöglichkeiten, wie Bourdieu richtig erkannte. Aber wer ist denn der Hauptfeind, wenn nicht der Ultrakapitalist?

Wie wäre es: Gretel verbrennt (verschmelzt) einfach alles Gold und führt den Kieselsteinstandard ein…??? Kieselsteine gibt es genug…Und das Welternährungsproblem wäre gelöst…

Ach ja, übrigens war die marxistische Interpretation eigentlich eine Parodie:

Iring Fetscher (1974): Hänsel und Gretels Entlarvung oder Eine Episode aus der Geschichte des Präfaschismus. In: Iring Fetscher: Wer hat Dornröschen wachgeküßt? Das Märchen-Verwirrbuch. Fischer, Frankfurt a. M.

Zum Sonstigen weiterlesen:

David Swarz (1997): Culture and Power: The Sociology of Pierre Bourdieu

Linda Porter (2011): The Remarkable Life of Katherine Parr, the Last Wife of Henry VIII

Bruno Bettelheim (1986): Kinder brauchen Märchen

Musikalische Ablenkung von neuropathischen Schmerzen…


Heute Nacht habe ich nach diversen Anfällen versucht den Schmerz mit meiner nicht so tollen Alt (II) Stimme zu bezirzen: Die Idee war den Schmerz durch mein Gekreische so zu erschrecken, dass er sich von selbst verzieht.
Genommen habe ich dazu das wunderschöne Stück: „Constant Penelope“ überall als A,T,T,B (A Cappela) gekennzeichnet…Aber die Partitur – die ich dazu gefunden habe – war für mich extrem unleserlich.Irgendjemand hat wohl eine merkwürdige Subskription aus dem 18 Jahrhundert eingescannt…
Zwar weiß ich, dass die Renaissance noch keine halben Töne kannte, aber wenn ich die Notenlinien zusätzlich nicht erkennen kann und jede Note nur aus Punkten besteht: wie soll ich das dann interpretieren…??? Vielleicht sollte ich mir das von einem Musikwissenschaftler erklären lassen…
Nicht das ich wirklich vom Blatt singen kann, aber wenn ich eine gehörte Orientierung habe, ist so ein Notentext zum Vergleich schon hilfreich…Schließlich kann ich das nicht nach 30 Sekunden auswendig…Als musikalische Vorlage dienten mir somit lediglich Soprane/Mezzos…, die auch nach unten hervorragend singen können…Hmmh, ich kann da dennoch nicht mithalten…Irgendwie brauche ich immer eine Zeit bis ich es schaffe, dass für mich in meine Tonlage zu transferieren…, sodass ich heute Nacht wohl mich eher anhörte wie ein sterbendes Schwein oder anmutiger ein Bariton-Kanarienvogel mit Asthma…Daneben bekomme ich gesungen das „th“ nur als deutsches „S“ hin…Schlimm werden mehrere „Th’s“ und ich klinge wie eine deutsche Sprachsünde…Aber versucht mal selbst diesen Part zu singen:

„Then had I not lien now all alone, thus quivering for cold,nor used this complaint, nor have thought the day to bee so long.“

Am Ende versinge ich das „to be“ in ein „to pee“…Aber heißt es nicht eigentlich:

„To pee (be) or not to pee (be)…“

Das ist hier die Frage…(Klingt auf jemanden mit leichter Blasenstörung – wie mich – doch fast passend…Aber vielleicht sollte ich es bei meiner nächsten Schmerzattacke lieber mit „Hurz“ versuchen..Wesentlich akademischer:

Noch schöner finde ich „Der König ist tot“ von Hape…(Leider auf youtube nur für unsere schweizerischen, österreichischen und amerikanischen Freunde sichtbar, aber man kann ja das Hexeneinmaleins der faustischen Proxykunde anwenden…)

Heute Nacht könnte ich (bei weiterer Schlaflosigkeit) und passend zu Weihnachten ein „Bereite Dich Zion“ erklingen lassen…Aber das überfordert meine Gesangskünste bei WEITEM…

Warum singen das eigentlich ebenso nur Mezzos, Countertenöre, Knaben, oder Alt-Openverschnitte aus den 50er/60er Jahren im Richter-Stil…Also ich mag die Countertenöre?  Gibt es auch eine Aufnahme mit einer klaren und nicht übertrieben-opernhaften weiblichen Altstimme…??? So im Stil von den vorzüglichen englischen Sopranstimmen, wie Emma Kirkby oder Elin Manahan Thomas…Wer da Ahnung hat….Ja, Beratung erwünscht… Im Barockfach sind die Countertenöre natürlich äußerst beliebt, aber sie können doch nicht ganz die AltistInnen verdrängt haben…(?) Also ich bin ein ausgesprochener Fan von Scholl…, aber ich mag Variation und noch mehr Variation…Hier eine Live-Aufnahme, die Scholl gar nicht wirklich gerecht wird…:

Leider komme ich an meine Hesperion XXI Aufnahmen nicht heran. Ansonsten würde ich Jordi Savall und Montserrat Figueras hören…Da habe ich gar kein Bedürfnis selbst zu singen und verneige mich nur vor soviel Brillianz…Nicht die beste Aufnahme, aber hier ist ein Beispiel:

Aber trotz meiner meisterlichen Ablenkung durch Musik:
Das Leben ohne starke Schmerzmittel und nur Gabapentin als Mittel gegen meine tolle Schmerzwelt gestaltet sich irgendwie schwierig: Ich habe nämlich Opiate entzogen und bin seit 4 Wochen davon befreit…
Zum Einen fühle ich mich wacher, aber zum ANDEREN kaum besser…(Da nämlich DAUERWACH…Mit Opiaten habe ich nur noch geschlafen und jetzt kann ich nicht mehr schlafen)
Das Problem ist, dass Opiate – in der Dosis, in der sie Wirkung zeigen – so viele Nebenwirkungen verursachen, dass ich sie auch nicht wieder zu nehmen beginnen möchte…Außer ich würde das Leben einer Hauskatze verbringen wollen: 16 Stunden schlafen und nur zu Essenszeiten aufstehen…
Im Moment fühle ich mich wie auf einer Dauerachterbahnfahrt…“Himmelhoch jauchzend und zu Tode betrübt…“
So als hätte ich eine bipolare Störung und wäre an einem Tag gleichzeitig manisch und dann wieder depressiv: 6 Stunden am Tag denke ich: Du hast eine Zukunft, dein Leben könnte weiter gehen und aus dir spät aber doch noch irgendwas werden…(Also nicht das ich gar nichts bin, aber außer viel Ehrenamt, Engagement und Teilzeit im Museum habe ich leider nie einen sicheren Erwerbsjob gehabt und mein Studium nie abgeschlossen…)
Dann werde ich wieder von meinen gesamten Schmerzattacken eingeholt und zweifel an ALLEM…Grübel, könnte meinen Kopf gegen eine Wand hauen und bin alles andere als euphorisch.
Arbeiten bekomme ich nur hin, wenn der Adrenalinspiegel so hoch ist, dass ich weiß: Du musst jetzt anfangen etc. Unter diesem Druck vergesse ich meinen Schmerz, der aber nach diesem absurden Arbeitsanfall sofort zurück kommt…
Heute Nacht bin ich zunächst nicht eingeschlafen, da meine beiden Füße und Teile der Beine so brannten, dass ich ernsthaft in meinen Zimmer nach Messern und Rasierklingen gesucht habe…Zu dem Zeitpunkt als ich ein Teppichmesser gefunden habe, war die Attacke wieder fast vorbei und mein Ausflug in die Welt der Musik begann.
Ich habe mich nicht mehr selbst-verletzt seit ich 15 war…
Also war der Gedanke wirklich mehr Ausdruck einer Kurzschlussreaktion, aber genau da ist eben der Punkt: Wie tief könnte ich mich mit einem Teppichmesser verletzen…??? Vermutlich wäre es nicht mal schmerzhaft im Vergleich zu dem Gefühl auf einem Scheiterhaufen verbrannt zu werden, aber wenn du nach 36 Stunden ohne Schlaf einfach kein Stück mehr stehen kannst und deine Füsse im LIEGEN UND STEHEN brennen, deine Arme kribbeln und dein Kopf sich auch noch beschwert, dann möchtest Du gerne eine Art SCHOCKERLEBNIS…Etwas das alles übertönen kann und dich aus dieser tristen Welt heraushebt und was ist da besser als die Musik? Auch diese bewirkt keine Wunder, aber einen kurzen Moment kann es besser sein…

Nach einem Texas Chainsaw Massacre: Auftritt der Neurologen III

Wir halten also fest: Ich liege seit mehreren Stunden auf einem Flur im Notfallbereich. Es ist mittlerweile kurz nach 17:00 Uhr und ich habe seit dem Vortag weder etwas gegessen noch etwas getrunken: Nachts für eine Minikopfwunde erstaunlich viel Blut verloren und vor ca. 4-5 Stunden wurde mir Blut abgenommen. Seit einer Stunde ist mir außerdem auch ziemlich kalt, denn ich habe keine Decke…
Aber so gegen 17:30h kommt dann endlich eine äußerst junge Neurologin(Studentin oder junge Assistenzärztin) und versucht – da kein Zimmer frei ist – zum zweiten Mal am Tag – mir ein paar Fragen zu stellen…
N1: „Hatten Sie schon einmal ein Schädel-Hirn-Trauma 1 Grades?“ (Einfacher gefragt: Hatten sie schon einmal eine Gehirnerschütterung?)
Ich: „Als Kind im Alter von 10 Jahren bin ich mal gegen einen Baum gefahren und konnte 10 min nichts sehen. war aber letztlich nix Dramatisches…Eine leichte Gehirnerschütterung eben“
N1: „Und warum sind sie gegen einen Baum gefahren?“
Ich: „Weil der Baum im Weg stand?“
N1: „Wie meinen Sie das?“
Ich: „Das war ein Scherz. Kontrolle über das Fahrrad verloren. Denke ich…“
N1: „Ahh, da wird ja gerade ein Zimmer frei. Kommen Sie mal mit mir ins Behandlungszimmer.“
Ich stehe also sehr abrupt auf..: Ich gehe ein paar Schritte und merke, wie mich etwas vom Kopf an runter zieht: alles um mich herum dreht sich und ich kippe direkt gegen einen Arzt, der günstig-erweise mich auffangen kann und werde gleichzeitig von einer Krankenschwester an den Füßen gepackt und in ein Arztzimmer getragen…Gekonnt wird meine neue Komfortliege so gekippt, dass ich mich – mal wieder – wie eine Fledermaus fühle…Nach wenigen Sekunden in der Kopf nach unten Position ist mein Kreislauf und ich sich wieder einig und mein Herz pocht angemessen und gleichmäßig. Die Assistenzärztin ist wesentlich panischer und blasser als ich…
Die Krankenschwester bemerkt, dass die Episode vorbei sei und ich wieder Farbe im Gesicht hätte…Juhu Fall gelöst… könnte man sagen, aber zusammenbrechende Patienten kann man natürlich nicht einfach entlassen…Auch wenn diese sehr gute Gründe dafür angeben können…

Nach einem „Texas Chainsaw Massacre“ in unserem TOLLEN Uniklinikum I

Der Chirurg war leider nicht davon zu überzeugen, dass ich nur eine einfache Kopfplatzwunde hatte, da er a) annahm, dass mein Gangbild evtl. für mich unnormal ist…b) Meine Wortkargheit Ausdruck einer Verlangsamung ist und nicht psychisch/Schock bedingt…

So wurde ich dann trotz nachhaltigem Protest in unser idyllisches UNI-Klinikum (im Betonplattenbau-Stil mit angenehmer Waldlage geschickt)
…Das auch noch im Rettungswagen…(Selbst als ich ein Liquorleck hatte, bin ich noch selbst gelaufen…Ich persönlich fand das absoluten OVERKILL…)

Dort wurde ich zunächst von einem netten und sehr jungen Unfallchirurgen (Student? Assi?) empfangen, der mich die ganze Zeit fragte, wo es mir jetzt genau weh tut, -außer meinem Kopf natürlich???

Ich: „Nirgendwo..“
Er: „Können Sie sich an den Hergang des Unfalls erinnern und mir diesen schildern…?“
Ich: „Ehhm…“ (Sollte ich das jetzt wahrheitsgemäß beantworten, würde ich vermutlich den Tag da verbringen müssen…Aber ich kann so schlecht lügen…)
Er: „Kann es sein, dass sie aus größerer Höhe gestürzt sind…?“
Ich: „Nee, mein Kopf ist nur unglücklich mit der Toilette in Berührung gekommen. Also je nachdem wie ich es geschafft habe zu fallen…: Allenfalls ein halber Meter…“
Er: „Das verstehe ich jetzt nicht ganz…Sie haben Erinnerung daran, dass sie ausgerutscht sind im Bad und mit dem Hinterkopf gegen die Toilette gekommen sind..“
Ich: „Erinnerung? Nee, forensische Spurensicherung um 7 Uhr morgens…Da wo das meiste Blut war…, ist auch der Unfallort…“
(Ein zweiter Kollege, der mittlerweile das Zimmer betreten hatte, bekam beinahe einen Lachkrampf, während der junge Assistenzarzt vor mir – meine Art von morbiden Humor offensichtlich kein Stück nachvollziehen konnte.)
Er: „Waren sie nach diesem Sturz ohnmächtig?“
Ich: „Ich bin morgens aufgewacht: ohne mich daran zu erinnern, dass ich gestürzt bin…Ich denke, dass Ich so gegen 3 Uhr morgens auf Toilette war…“
Er: „Denken Sie das nur oder waren sie auch wirklich in ihrem Badezimmer???“
Ich: „Da sich eine Toilette und seine Umgebung nicht magisch rot färbt und meine sonstigen Wände keine Rotverfärbung aufweisen und mein Treppenhaus auch keine Blutspuren hat, nehme ich scharf an, dass ich im Badezimmer gestürzt bin und das es so 3 Uhr war, da ich 1x auf die Uhr gesehen habe: so um 2.30 Uhr..Ich weiß nur noch, dass ich nicht einschlafen konnte und zur Toilette wollte…“
Er: „Aber sie haben KEINE Erinnerung WIE sie gestürzt sind?“ (Meine Güte: Wie oft werde ich DAS noch gefragt…Sein etwas älterer Kollege saß mittlerweile am PC und durchforstete meine Akte…Vermutlich um sein Amüsement zu verbergen)
Ich: „Nein…Aber meine Toilette weißt Blutspuren auf..Mein Badezimmer sah genauso aus und mein Kopfkissen war ebenso rot…D.h. wo sich was ereignet hat ist nicht schwer zu rekonstruieren…“
Er: „Haben Sie sonst irgendwo Schmerzen…?“
Ich: „Nein, mein Kopf pocht…Sonst bin ich erstaunlich schmerzlos…Und ich müsste heute zum Amtsarzt“
Der Kollege trat nun hinzu und sah fragend auf den Einweisungs-Grund und mich…
ER 2: „Sie wirken auf mich nicht Zeit verzögert…“
Ich: „Nee, eher ihr Kollege…“
Er 2 (konnte seine Gesichtszüge kaum unter Kontrolle halten), während Er 1 das schon wieder nicht verstanden hatte…Offenbar verliere ich jegliche Sozialkompetenz, wenn ich gerade krank bin…Normalerweise bin ich weder so direkt noch gänzlich enthemmt…
Er 2: „Ich sehe nix an ihren Pupillen, aber hier steht, dass sollen wir im Auge behalten und sie entweder in die Neurologie oder Neurochirurgie einweisen.“
Ich: „Dann bitte lieber zur Neurochirurgie…“
Er 2: „Warum denn das?“
Ich: „Neurochirurgen sind pragmatisch: Die sehen, dass es da nix zu schneiden gibt und lassen mich wieder gehen.“
Er 2: „Wir würden gerne erst ein CT machen und die Halswirbelsäule röntgen. Wegen ihrer Vorbelastung und wenn das nichts ergibt, dann die Neurologen einmal über sie drüber sehen lassen…“
Ich: „Meine Halswirbelsäule bricht jetzt auch nicht schneller als bei anderen Menschen. Ich hatte keinen Autounfall…Nur eine unglückliche Begegnung mit meiner Toilette…“
Er 2 (lacht): „Ich kann sie da wirklich verstehen, aber 1) sie gehen wieder gegen ärztlichen Rat ODER 2) Wir machen ein CT und eine Röntgenaufnahme und lassen die Neurologen sie einmal ansehen…“
Ich: „Okay, aber würden sie selbst in so einem Fall sich dieser Strahlenbelastung aussetzen?“
Er 2: „Wenn ich keine Erinnerung hätte warum ich gefallen bin, ohnmächtig war und mich übergeben hätte, dann ja…“
Ich: „Woher wissen Sie , dass ich mich übergeben habe?“
Er zeigte nur kurz auf meine Schuhe…

Das CT und das Röntgen meiner Halswirbelsäule wurden dann auch recht schnell gemacht: wie ich mir dachte, war beides NORMAL…Das CT fand ich äußerst brutal, da ich DIREKT auf meiner Kopfplatzwunde lag…, aber in dem Moment gelang mir das Stillhalten, um so besser, weil ich immer an die Strahlenbelastung denken musste…

Mir wurde danach mitgeteilt, dass es jetzt noch wenige STUNDEN dauern könnte, bis mich ein Neurologe ansieht und ich wurde – wie ein paar andere Patienten auch – im Flur geparkt…Da ich keine Decke hatte und andauernd jemand an mir vorbei lief etc., war das weder angenehm noch eine Zeit in der ich in einen Tiefschlaf verfallen konnte…Dass die Neurologen beschäftigt waren, sah man an den anderen beiden Patienten im Flur, die komatös oder somnolent vor sich dahin siechten…(Die Ansprache-versuche etc. deuteten def. auf Neurologie hin…Aber um mich herum war alles mehr wie ein unendlicher Film aus ständig wechselten Weißkitteln, die wild hin und her rannten…)

So 2-3 Stunden später kam dann einen Krankenschwester und meinte zu mir: „Ach, sie haben ja noch gar keinen Zugang“
Ich: „Wozu brauche ich denn einen Zugang…???“
Sie: „wir müssen ihnen zunächst Blut abnehmen und vielleicht bekommen sie ja Medikamente…“
Ich: „Ich habe aber keinen Infekt oder ähnliches…Außer es gäbe ein Schnellheilungselixier gegen Kopfplatzwunden…“
Sie hatte mittlerweile schon meinen Arm gefunden..Legte mir einen Zugang und nahm mir gefühlte 8 Röhrchen Blut ab…(Keine Ahnung: was das alles war…) Ich finde die ersten paar Stunden mit Zugang immer am Schrecklichsten, danach merke ich es dann weniger…Nach OP’s verstehe ich auch die Sinnhaftigkeit, aber nur weil man im Krankenhaus gelandet ist, damit beglückt zu werden, finde ich einfach nur UNSINNIG…, zumal ich gute Venen habe, die jederzeit in 5 sek. zugänglich sind…Aber okay: 1) wer weiß das? 2) Ich hatte ja nun einmal eine leichte Gehirnerschütterung und eine genähte Kopfwunde á la Irokesenschnitt mal anders…

To be continued…II

Wie man ein „Texas Chain Saw Massacre“ im eigenen Badezimmer veranstaltet

Man nehme dazu einen labilen Körper, der zum UMKIPPEN neigt und haue sich den Hinterkopf an der Toilette an…Nach kurzer Ohnmacht lege man sich einfach neben die Toilette, denn das Drehen im eigenen Kopf wird langsam leicht unerträglich und wozu sollte man eigentlich aufstehen…??? Dann -nach der wunderbaren ALLES DREHT SICH Phase – bemerkt man: Es ist hier zu naß und feucht und irgendwie will ich doch wieder zurück in mein Bett…Und warum ist alles eigentlich so rot?
Hat Norman Bates Zutritt zu meinem Badezimmer gehabt??? Sollte ich schreiend weglaufen…???
Ich entschied mich das einfach zu ignorieren und gelangte gegen 3:30 Uhr morgens wieder in mein Bett…(Seitdem haben sowohl meine Flickenteppiche leicht ein-gebräunte Farbtupfer, als auch mein Kopfkissen eine Braunfärbung…)

Um 7 Uhr bin ich dann aufgewacht und betrachtete andächtig mein Blut-durchtränktes Kopfkissen…Hatte ich meine Periode…??? An der falschen Stelle??? Nicht besonders logisch…Was war eigentlich überhaupt passiert? Was blutet da eigentlich?
Waren da vielleicht irgendwelche Halloween Scherzartikel im Spiel und hatte ich evtl. falsches Vampirblut getrunken??? Wollte ich einen authentischen Horrorfilm nachstellen: wie z.B. ‚Martyrers’…?

Ich war ratlos… Ich griff mir suchend an den Hinterkopf, der merkwürdig pochte und bemerkte, dass ich in irgendetwas OFFENES hinein fassen konnte und meine Hände äußerst klebrig waren…Das bewegte mich zunächst einen unpassenden Lachkrampf zu bekommen und mich dann über meine Schuhe zu übergeben…(Die neben dem Bett standen und nicht meine Füße kleideten)

Großartig: Es war nun fast 8:00 Uhr morgens und ich realisierte mit Schrecken: ES IST MITTWOCH…Mein Hausarzt ist nicht da und ich muss zu seiner äußerst widerborstigen Kollegin…Ob ich mir das antun sollte? Darüber musste ich erst-mal nachdenken und stellte mich unter die Dusche…Wobei ich versuchte die offene Kopfplatzwunde nicht im Wasser zu versenken…Nur die total verklebten Strähnen, die musste ich irgendwie beseitigen und mit Duschgel bearbeiten…Dadurch färbte sich das Wasser leicht rot, was mich sehr irritierte…Vielleicht hätte ich nachts lieber den Notarzt holen sollen? Aber wegen so einer simplen Kopfplatzwunde…??? Mir war extrem schwindelig und ich setzte mich erst mal auf den Boden der Dusche…(Norman Bates drang trotz meiner Verwundbarkeit nach wie vor nicht in Erscheinung…) Ich war beruhigt…

Alles war zwar rot, aber irgendwie doch GUT…Ich krabbelte aus meiner Dusche und betrachtete meine Toilette und die Umgebung…Sah aus als ob ich nachts ein Schwein in meiner Wohnung geschlachtet hätte…Aber ich erinnerte mich: Ich war ja Vegetarier und ich zähle nachts nur Schweine, wenn ich nicht schlafen kann…Lieber noch Luchse…Selten Schafe, die werden von Luchsen zu oft attackiert und das tut mir zu Leid…

8:10 Uhr…Ich sollte mal langsam in der Praxis anrufen…Aber was sage ich? Muss ich was sagen??? Ich beschränkte mich aufs Wesentliche…:
„Praxis Dr X und Y—Z Guten Tag“
„Hallo hier ist U…und ich müsste heute mal..“
„Der Doktor ist heute nicht da nur die Frau…Wie immer MITTWOCHS“
„Mir heute ausnahmsweise egal…Ich gehe auch zu Frau X…“
„Dann kommen sie einfach rein…“
Die Praxis scheint sich MITTWOCHS magisch zu leeren…Wobei ich dort angekommen mich einfach wortlos in das äußerst leere Wartezimmer setzte…Da Frau X gerne redet und jedem zu einem Psychologen schickt, kann sie sich auch zwei Patienten lange widmen. Also saß ich da und dachte an geschlachtete Schweine und das ich ungern – wie die Hauptprotagonisten – in „Martyrers“ angebunden an Ketten, verprügelt, kahl rasiert und anschließend gehäutet werden möchte. Ich bin eben kein Märtyrer und versuche auch nicht mit bewaffnetem Kampf dem Kapitalismus ein Ende zu setzen. Der verlebt sich vermutlich in den nächsten 1000 Jahren – WIE das römische Reich – von selbst…Meine Zeit ist dagegen sowieso nur wie ein Sandkorn im Wind.
Außerdem bin ich eher pragmatisch und verletzte nur mich und meinen Körper…Wenn auch nicht immer vorsätzlich, dann aber doch nachhaltig…

Nach diesen philosophischen Selbstgesprächen widmete ich mich dann den tollen Broschüren: Die Krebsstiftung von unserem gigantischen Ultrakapitalisten, dem das ganze Bahnhofsviertel gehört und dessen Frau leider an Krebs erkrankte stieß mir zunächst ins Auge… Soziale Psychiatrie…Was ist an der Psychiatrie schon sozial…(?)…Natürlich besser als Gefängnis…In Amerika gibt es fast keine staatlichen-psychiatrischen Einrichtungen mehr, sodass psychisch kranken Obdachlose oft im Sicherheitstrakt eines Gefängnisses landen…Wir sind auf dem besten Weg dahin, denn es soll auch ein Budget in psychiatrischen Einrichtungen eingeführt werden…Wie schon die Liegezeit im Krankenhaus: TOLL!!! Noch ein Modellversuch…Ich liebe das Wort Modellversuch…

Aber wo war ich eigentlich? Eigentlich wartete ich in einem Wartezimmer auf „Godot“…Vielleicht aber auch auf etwas Anderes…Mein Durchstöbern der Broschüren wurde unterbrochen durch den wunderbaren Zuruf:

„Frau U…Sie können vor die 3…“
„Yeah, weiteres WARTEN vor dem Arztzimmer…Warum aber eigentlich 3 und nicht 1…??? War 1 das Labor? Wer weiß…Egal…Ich saß also vor der 3 und durfte dann ziemlich schnell in die 5…Sie hat nämlich die 5…Ich meine Zimmer 5…“

Frau U betrachtete mich zunächst ungläubig…Denn seit einem Jahr vermeide ich jede Begegnung mit ihr, da ich immer sofort total super therapeutische Ratschläge bekommen, die mir auf die Nerven gehen…Wie: Sie brauchen Gespräche und ein Psychologen und, und, und…Am besten sie gehen stationär nach Timbuktu…Aber was bringt mir Timbuktu??? Nervenschäden sind Nervenschäden und bleiben Nervenschäden…Brennen, Verbrennen, Fegefeuer ist nun mal mein Alltag…Gut ich könnte meine Bulimie evtl. in den Griff bekommen, aber das ist unwahrscheinlich…Denn was bleibt mir momentan…???

„Ich brachte es also auf den Punkt, als ich zu ihr sagte: Ich brauche eine Bescheinigung für den Amtsarzt und ich habe eine Kopfplatzwunde…So 4cm am Hinterkopf…“
Sieh sah mich an als hätte ich nun komplett meinen Verstand verloren…Das hatte ich an diesem Morgen wohl auch und fragte: „Wo genau?“
Ich zeigte ihr die Stelle und sie sah sich die kleine klaffende Wunde an…
„Wie lange ist das jetzt ungefähr her…?“
„So 6-7 Stunden..“
„Dann kann ich das jetzt nicht mehr kleben. Sie müssen zum Chirurgen, der kann die Ränder anschneiden und das dann nähen…Ich rufe da gleich mal für sie an, dass sie nicht solange warten müssen.“
Eigentlich ja nett, aber bei dem Wort anschneiden, wurde mir irgendwie übel…
„Wissen sie wo das ist?“
Ich erwachte aus meiner Trance…“Wo was ist?“
„Der Chirurg…“
„Hee??? Nee, wo jetzt nochmal?“
„Wissen sie wo der Supermarkt 7 am Bahnhof ist…? Die Brücke…?“
„Ach, da wo die Uni…Ja, weiß ich…“
Die nette Sprechstundengehilfin fragte noch: „Kann sie dahin laufen…So fit wirkt sie doch jetzt nicht gerade…?“
(Hey, ich bin fit wie ein Turnschuh…Aber das Wort „Anschneiden“ wollte mir nicht mehr aus dem Kopf…)
Ich lief dann mal so einen weiteren Kilometer oder auch 2 quer durch die Stadt und umkreiste den Supermarkt…Bis ich heraus fand das Augenarzt und Chirurg in einer Praxis agierten dauerte es etwas…Passt ja auch irgendwie nicht zusammen und das auch noch im dritten Stock…Ich kämpfte mich die Treppen hoch und merkte, dass mein Körper langsam aber sicher keine Lust mehr hatte zu laufen und mein Kopf suchte nach einer Ablage oder einem neuen Kissen…
Ich schaffte es gerade noch meine gesetzliche Versicherungskarte über den Tresen zu reichen, bevor mir richtig anfing schlecht zu werden: im Wartezimmer waren leider keine freien Plätze mehr und ich setzte mich dann auf irgendeinen Kinderstuhl in den Gang und kollabierte…Die besorgte Arzthelferin fragte sofort nach meinem Befinden…
„Mir geht es hervorragend…Ich habe nur eine Kopfplatzwunde“
„Wollen Sie sich hinlegen?“
„Nein, Danke…“
Nach weiteren 5 Minuten in denen ich ins Jenseits abgedriftet war…, zog eine energische Arzthelferin an mir und meinen Armen…
„Mir geht es nach wie vor sehr gut…Bin nur etwas müde“
„Sie legen sich jetzt hin..“
„Wohin denn???“ (Die ganze Praxis war VOLL…) Mühsam zerrte ich mich in eine stehende Position, was Dank mehrfacher Bandscheibenoperationen einfach nicht sehr schnell geht. Außerdem hatte sich mein Kreislauf irgendwie von mir verabschiedet.
Zunächst einmal wurde ich im „Röntgenraum“ untergebracht…Wirklich toll da zu liegen…Ich fing an Schweine zu zählen und dachte an Küken, die geschreddert werden und nahm mir vor Veganer zu werden…Wie passen Schweine und Küken eigentlich zusammen? Chicken Mc Nuggets + Schweineburger…Meine Gedanken waren ungeordnet, zerfetzt und zusammenhanglos…

Eine Arzthelferin erweckte mich mal wieder aus dem Jenseits..Im Schlepptau hatte sie einen Rollstuhl…Ich war entsetzt…:
„Ich kann laufen…“
„Setzen Sie sich jetzt da rein…“
Ich versuchte also von diesem blöden Röntgengerät…-für mich umfunktioniert – als Liege runter zu kommen…Für meinen Geschmack und Bandscheiben eher etwas zu hoch…, sodass ich halb herunter fiel und mich irgendwie auffing…
Die Arzthelferin sah mich fragend an und deutete auf den Rollstuhl…Ich ergab mich diesem Schicksal und wurde so ca. 30m weit in den nächsten Raum geschoben…Diesmal hatte ich eine gemütliche Liege, was mir -den Schweinen, Küken, Schafen und Luchsen – wesentlich besser gefiel…Ich driftete also wieder leicht ins Traumland ab, bis mich eine energische Stimme wieder erweckte…
„Sind sie Tetanus geimpft?“
„Ehh, was…Wie ???“ (War etwa doch Norman Bates hinter mir her…? Aber der attackiert doch nur Frauen in der Dusche…!)
„Haben sie einen Tetanus-Schutz, Impfausweis??“
„Impfausweis…Ich..??? Nee…Tetanus???“
„Okay, dann geben wir ihnen jetzt zunächst 2 Spritzen…“

„Drehen sie sich mal um…“ (In dem Moment wurde ich schon energisch und unsanft von der Arzthelferin umgedreht. Da ich zu sehr mit meinem Kopf beschäftigt war, entging mir die Impfung gänzlich…)
„Wo ist denn die Wunde?“
„Ich zeigte auf meinen Hinterkopf und sofort wurde wieder an mir gedreht und gezerrt…
„Da gehen jetzt leider ein paar Haare drauf…“ (Ich wollte protestieren, aber bei 4cm…Das sind bei mir wirklich nur ein paar Haare…)
„Das tut jetzt mal ein bißchen weh…“
Okay, das war nicht untertrieben..Ich fühlte mich irgendwie, als würde man mich skalpieren…Zu meiner Freude dauerte es nur ca. 3min…Chirurgen sind erbarmungslos, aber schnell…Das Ergebnis des „Chirurgenverschnittes“ sieht nach 12 Tagen so aus…:
Genähte Kopfplatzwunde

Ich dachte: Jetzt bist du erlöst, aber…aber das sah der Chirurg anders

„Sie gefallen mir nicht…Sie sind deutlich Zeit verzögert…“
„Ich, ehhh Ich bin NICHT Zeit verzögert…Außerdem muss ich zum Amtsarzt.“
„Sie müssen heute zu keinem Amtsarzt. Ich schicke sie ins Uniklinikum…Dann sind sie entschuldigt…
„Ich will nicht ins Uniklinikum…DAS ist normal bei mir…“

To be continued…